Donnerstag, 17. November 2011

Lemuria

Lemuria bezeichnet einen hypothetischen bzw. fiktiven versunkenen Kontinent oder eine Landbrücke, die entweder zwischen Madagaskar und Indien oder zwischen Australien und Amerika gelegen haben soll. Lemuria spielt dabei heute vor allem in der Science-Fiction-Literatur oder Esoterik eine Rolle. Eine allgemein akzeptierte These über die Existenz von Lemuria hat es in der Wissenschaft nie gegeben.

1864 spekulierte der Zoologe und Tiergeograph Philip Sclater in einem Artikel „The Mammals of Madagascar“ über Lemuren und weitere verwandte Primatenarten, der in The Quarterly Journal of Science erschien, über Lemuria, welches ein Kontinent im Indischen Ozean gewesen sei. Dieser Kontinent sei in Inseln zerbrochen, wovon eine Madagaskar sei. Aus dem Fehlen von Fossilien dieser Primatengruppen auf dem afrikanischen Kontinent schloss er, dass die Verbreitung anders erfolgt sein müsse.

In der esoterischen Literatur taucht der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel als ein Vertreter der These von Lemuria auf. Er hatte in einem Satz seiner populären Natürlichen Schöpfungsgeschichte (1868) die Hypothese einer versunkenen Landbrücke zwischen Madagaskar und Indien genutzt um über den geographischen Ursprung des Menschen zu spekulieren:

„Vielleicht war aber auch das östliche Afrika der Ort, an welchem zuerst die Entstehung des Urmenschen aus den menschenähnlichen Affen erfolgte; vielleicht auch ein jetzt unter den Spiegel des indischen Oceans versunkener Kontinent, welcher sich im Süden des jetzigen Asiens einerseits östlich bis nach den Sunda-Inseln, andrerseits westlich bis nach Madagaskar und Afrika erstreckte.“

1874 erwähnt Haeckel in seiner Anthropogenie unter dem Registereintrag „Lemurien“, dass er in seiner Natürlichen Schöpfungsgeschichte, im 23. Vortrag auf Tafel 15 über den geographischen Ursprung der Menschheit spekuliert habe, was er als „ersten Versuch“, „einer hypothetischen Skitzze“ begriffen habe, insofern sei die später daran geäußerte Kritik gegenstandslos. Die Karte greift er in der Anthropogenie nicht wieder auf.

In der neunten Auflage der Natürlichen Schöpfungsgeschichte von 1897 bezeichnet Haeckel die Idee von Lemuria, nun mit dem ausdrücklichen Bezug auf Sclater, als aufgrund der neusten geologischen Erkenntnisse überholt. Er bevorzugte nun als wahrscheinlichste Hypothese den Ursprung des Menschen im westlichen Hinterindien. Der geographische Ursprung der Menschheit sollte erst viel später geklärt werden, eine Lemuria-Hypothese spielte dabei in der Forschungsgeschichte der Stammesgeschichte des Menschen keine Rolle mehr. Heute gilt, wie schon Charles Darwin vermutet hatte, Afrika als Ausgangspunkt der Ausbreitung des Menschen.

Lemuria, wie auch weitere hypothetische Landbrücken, etwa zwischen Südostasien und Südamerika, die aus der disjunkten Verbreitung von Tier- und Pflanzengruppen abgeleitet wurden, haben sich generell als Irrtum herausgestellt. Weder die heute gültige Theorie der Plattentektonik oder die in der Tiergeographie bekannten Ausbreitungsbewegungen noch die Geologie und Geographie des Meeresbodens dieser Region bieten heute noch Spielraum für solche Spekulationen.

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Motiv eines den Indischen Ozean ausfüllenden und später versinkenden Kontinents (vermittelt durch theosophisches Schriftgut) von einer populär-nationalistisch orientierten Richtung der tamilischen Geschichtsschreibung unter dem Namen Ilemuriya bzw. Kumarikkandam („Kontinent [angrenzend an das indische Südkap] (Kanniya-)Kumari“) übernommen, mit älteren, legendenhaften Flutberichten (v. a. aus der mittelalterlichen Kommentarliteratur zur alttamilischen Sangam-Dichtung) in Verbindung gebracht und so zu einem zentralen Bestandteil eines neo-mythologisch-nationalistischen tamilischen Geschichtsentwurfs gemacht.


Fiktive Karte von Lemuria

Quelle: Wikipedia